Literarischer Salon. Die Besucher, Leserinnen, Literaturbegeisterte trafen sich am 28.06. bei strahlend sonnigem Wetter zum Literarischen Salon im Hof. Ein angenehm kühlender Wind erfrischte uns, während wir uns dem Thema Briefe widmeten.

Das Thema, so waren wir uns einig, war so umfassend, daß es schwer gefallen war, den Text auszusuchen, den man vorstellen wollte. Vielfältigste literarische Beispiele wurden vorgestellt. Doch tauschten wir uns auch über unsere persönlichen Erfahrungen mit dem Schreiben und Erhalten von Briefen aus. Es war nicht verwunderlich, daß literarisch interessierte Menschen in ihrem Leben einen großen Wert auf eine Briefkultur legen, die, so waren wir uns einig, heute für viele an Bedeutung verliert. Vielfach wird dieser Verlust an Reflexionsmöglichkeit über das eigene Leben wohl gar nicht wahrgenommen. Umso schöner war der Austausch mit Gleichgesinnten.

   

Zu Beginn wurde der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Friedrich Wilhelm Oelze vorgestellt. Die Briefe an Friedrich Wilhelm Oelze waren für Gottfried Benn vor allem nach dem Publikationsverbot im Nationalsozialismus und in den frühen Nachkriegsjahren das zentrale Forum für poetologische, politische wie persönliche Reflexionen. Nicht nur für Benns Werk, sondern auch zeitgeschichtlich sind diese Briefe ein höchst aufschlussreiches Dokument einer fast 25jährigen Freundschaft. Dass Benn in der »unendlichen Depression« und »Versteinerung« des Dritten Reichs künstlerisch so produktiv bleiben konnte, verdankt er zu einem wesentlichen Teil der Freundschaft mit dem weltgewandten und weitgereisten Bremer Kaufmann Oelze. Benn legte den Briefen immer wieder neue Gedichte bei und schrieb über manchen »Keim und Setzling« seiner Texte.

Nach diesem realen Briefwechsel wendeten wir uns einem Briefroman zu. Die Farbe Lila der amerikanischen Autorin Alice Walker. Das Melodram spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im ländlichen Georgia und thematisiert die damalige gesellschaftliche Stellung und die Lebensbedingungen afro-amerikanischer Frauen in den Südstaaten der USA. Dabei behandelt der Roman insbesondere die Themen Inzest, patriarchale Gewalt und lesbische Liebe. »Die Farbe Lila mündet in eine Art sanfter feministischer Utopie: Celie, die ewig Getretene, wird durch die Zuneigung von Frauen gestärkt und fähig, sich aus ihrem häuslichen Gefängnis zu lösen. Ihr großes Vorbild, die Sängerin Shug Avery, vereint Züge moderner, entschlossener Emanzipation mit der traditionellen Selbständigkeit der schwarzen Blues-Interpretinnen.« Der Spiegel

 

Eine sich über Jahre hinziehende Beziehungskrise ganz anderer Art in einem völlig verschiedenen gesellschaftlichen Umfeld war das Thema der folgenden Texte aus Hans Magnus Enzensberger, Requiem für eine Romantische Frau. Dieses Buch als ›Briefwechsel zwischen Auguste Bußmann und Clemens Brentano‹ zu beschreiben, ist stark untertrieben. Die ganze »Szene« der Romantiker und Intellektuellen rund um den Brentano-Clan mischt mit! Magdalena Bußmann war kurze Zeit mit Clemens Brentano verheiratet. Ende Juli 1807 entfloh die 16jährige in wilder Leidenschaft mit dem gerade erst verwitweten Dichter Clemens Brentano. Das Paar fand zunächst bei einem Schwager von Brentano in Kassel Unterschlupf und wurde im Dom zu Fritzlar getraut. Schon kurz nach der Trauung kam es zu Auseinandersetzungen und heftigen Streitereien. Ein gemeinsames Zusammenleben, so stellte sich heraus, war nicht möglich. Kurze Versuche, als Ehepaar zu leben, scheiterten jedes Mal schnell. Sie wollten sich dauerhaft trennen, eine Scheidung war jedoch schwer zu erreichen und wurde erst 1814 vollzogen. Auguste Bußmann wurde von ihrer Familie vor die Wahl gestellt, ins Kloster zu gehen oder sich erneut zu verheiraten. Am 30. März 1817 vermählte sie sich mit Johann August Ehrmann. Sie bekam vier Kinder, die nach eigenem Bezeugen nicht alle von ihrem Ehemann waren. Am 17. April 1832 ertränkte sie sich im Main. Dieses spannungsreichen Leben wird in dem Buch in einer Vielzahl von Briefen dokumentiert, in denen sich neben den direkte Beteiligten zahllose Verwandte und Freunde über den Fortgang der Ereignisse austauschen.

Jack London ist eigentlich als Schriftsteller durch seine Abenteuergeschichten bekannt geworden, in denen er das harte Leben in der Wildnis und den Kampf ums Überleben eindrucksvoll schilderte. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Ruf der Wildnis, Wolfsblut und Der Seewolf, in denen er Themen wie Natur und Zivilisation verarbeitet. Dabei bekennt er sich zu sozialistischen Ideen. Im Salon werden aber zwei Briefe vorgestellt, die er an seine zweite Frau Charmian schreibt, die er nach seiner Scheidung heiratet. Diese zweite Ehe war glücklich und ungeheuer produktiv, da sie ihn in seinem Schreiben, das er ausdrücklich als reinen Brotberuf bezeichnete, sehr unterstützte. In diesen Briefen zeigt er sich als sensibel und empfindsam. Es wird deutlich, wie stark er an Charmian hängt. Londons Biograph Russ Kingman nannte Charmian »Jacks Seelengefährtin, immer an seiner Seite, und ein perfektes Gegenstück«.

 

Nach diesen Prosatexten wird ein Gedicht des österreichischen Schriftstellers Christoph Wilhelm Aigner vorgestellt, Ich rhythmisiere die Einsamkeit: Nach dem Winter. Nichts hat sich ereignet / hab Holz gehackt und das Holz redete von Glut / zweiundzwanzig Briefe geschrieben, zwei erhalten / dem Regen zugesehen / wie er vom Wind auf Händen getragen wurde und doch fiel / Ein andrer bin ich jetzt.

Es folgen kleine Auszüge aus Die fast vergessene Kunst des Briefeschreibens, herausgegeben von Titus Müller und Gaby Trombello-Wirkus. Darunter der kürzeste Briefwechsel aller Zeiten über Victor Hugos ›Les Misérables‹. Hugo, im Exil, möchte wissen, wie sein gerade veröffentlichter Roman beim Publikum ankommt. Er sendet seinem Verleger einen Brief, der aus einem einzelnen Fragezeichen besteht. Die Antwort des Verlegers, ein Ausrufezeichen, bestätigt großen Erfolg.

 

Mit Briefen von Caroline Schlegel-Schelling wird auf die Gruppe der frühen Romantiker, den Jenaer Kreis, verwiesen. Caroline ist eine zentrale Figur dieser Szene, ist selbst als Übersetzerin der Shakespeare-Dramen aktiv. Ihr Mann, der als Übersetzer dieser Texte hervortritt, weist erst im Laufe der Zeit und auch nur sehr diskret auf ihre Mitautorenschaft hin. Die äußerst produktive Gruppe von Künstlern und Intellektuellen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Jena zusammentrifft, wird in dem Buch Fabelhafte Rebellen von Andrea Wulf geschildert. Novalis, Fichte, Schelling und Hegel, die Schlegel-Brüder sowie Alexander von Humboldt, Goethe und Schiller. Als die meisten Staaten in Europa noch im eisernen Griff absolutistischer Herrscher waren, galt die Idee vom freien Individuum, die von diesen entwickelt und vertreten wird, als brandgefährlich. Und inmitten dieser Männergruppe die freigeistige Caroline Schlegel.

In der Bibel finden sich viele Briefe, am bekanntesten sind wohl die des Paulus an die  Römer, die Korinther und die Galater. Doch auch im Alten Testament gibt es Briefe; zu den bekanntesten gehört das 29. Kapitel des Buch Jeremia. Hier schreibt der Prophet an die im Exil befindlichen Juden in Babylonien. Der Brief übermittelt Gottes Anweisungen und Verheißungen für ihre Zeit in der Fremde. Jeremia ermutigt sie, sich in Babylon einzuleben, sich zu integrieren und auf Gottes Verheißung einer Rückkehr nach 70 Jahren zu vertrauen.

 

Doch auch persönliche, sehr private Briefe werden vorgestellt. Es geht in ihnen nicht immer um große Ereignisse. Alltägliches, scheinbar Belangloses steht neben den Schilderungen von Katastrophen und wie diese sich auf unser Leben und die Umgebung, in der wir leben, auswirken. Im Literarischen Salon werden auch dafür Beispiele aus den eigenen Briefsammlungen vorgestellt. Es besteht Einigkeit über die Wichtigkeit solcher Aufzeichnungen, die ähnlich einem Tagebuch helfen, die Erinnerung zu strukturieren, das eigene Leben festzuhalten.

Es gibt nicht nur Briefe. Auch die Postkarte scheint fast verdrängt von Mails, SMS, Posts in (a)sozialen Netzwerken. Doch gibt es auch Gegenbewegungen. Ein Beispiel ist postcrossing, ein internationales Online-Projekt, das es Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, Postkarten miteinander auszutauschen – einfach aus Freude am Schreiben und Empfangen von echter Post.

 

Es geht dann zurück in das Reich der Literatur: Klaus Nonnenmann, Die Sieben Briefe des Dr. Wambach. Das Leben des Doktor Hubert Wambach, Obervertrauensarzt im Ruhestand, zieht dahin: meteorologische Messungen, Hobbymalerei und der regelmäßige Spaziergang zum Grab seiner vielgeliebten Frau – bis Wambach eines Tages auf der Straße die heulende Ise trifft. Ise ist fünf und beklagt den Verlust ihrer Puppe Rapunzel. Wambach beginnt, Ise zu trösten, und schreibt ihr Briefe im Namen der vermeintlich nach Paris ausgebüxten Puppe. Zugleich erlebt er noch einmal die sehnsuchtsvoll verwandelte Geschichte seiner eigenen Liebe und vollbringt seine letzte, schönste und vielleicht erfüllendste Erdentat. Es ist nie zu spät, das Leben zu entdecken. Am Ende der siebentägigen Woche, in der er täglich einen dieser Briefe schreibt, stirbt Wambach.

Briefe und Telegramme spielen in Theodor Fontanes Cécile eine wichtige Rolle. In dem Buch wird die Geschichte von Cécile von St. Arnaud, einer schönen, dazu geheimnisvollen Frau erzählt, die mit ihrem viel älteren Ehemann, dem General von St. Arnaud, auf einer Kurreise in Thüringen den jungen Zivilingenieur Robert von Gordon kennenlernt, der sich in sie verliebt. Seine Nachforschungen über ihre Vergangenheit bringen dunkle Geheimnisse ans Licht: Cécile war in einen Skandal verwickelt und ihre Ehe ist von gesellschaftlicher Lüge geprägt. Diese Umstände führen dazu, daß General von St. Arnaud dem Ingenieur einen barschen Brief schreibt, der zum Duell führen wird. St. Arnaud, der bessere Schütze, will Gordon nicht erschießen und will daher auf das Duell verzichten. Doch Gordon besteht darauf. Cécile ahnt in dem Moment, in dem sie Gordons Abschiedsbrief empfängt, was sich dann auch bewahrheiten soll: Die Bitten um Verzeihung sind Gordons letzte Worte. Im Literarischen Salon wird dieser Abschiedsbrief gelesen.

 

Tove Jansson ist vor allem durch ihre Kinderbücher bekannt, in denen sie die Geschichten der Mumins erzählt, Trollen, die im idyllischen Mumintal irgendwo in Finnland leben. Doch von ihr gibt es auch die Briefe von Klara, die in einem Band mit Kurzgeschichten erschienen sind. In ihnen schreibt eine Frau regelmäßig Briefe an eine Freundin, wobei sich immer deutlicher eine schwelende Spannung und unterschwellige Konflikte offenbaren. Es sind kurze, oft leise und nachdenkliche Geschichten, die sich mit alltäglichen Beziehungen, dem Älterwerden, Einsamkeit, kreativer Arbeit und Kommunikation beschäftigen.

Der letzte in unserem Treffen vorgestellte Text ist ein Brief an einen kleinen Schnauzer von William Kotzwinkle, Teil des Buches Brief an einen Schwan. In ihm geht es um eine Reise zum Grab von Carl Jung. Dabei stößt man auf einen warnenden Hinweis an einem Hoftor. Hinter dem Tor befindet sich der kleine Hund.

Und zum Schluß wird aus den Vorschlägen des Wundertüte-Salons das Thema für das kommende Treffen gezogen. Dann werden wir Texte zum Thema (Regen-)Wetter vorstellen.